03.07.2023

Kraus-Winkler: Spitzengastronomie ist unser Aushängeschild

Interview: Die Tourismus-Staatssekretärin über die aktuellen Probleme der Branche, Lösungsansätze und Euphorie bei Berufs-Wettbewerben.

Martina Hohenlohe und Susanne Kraus-Winkler
Martina Hohenlohe und Susanne Kraus-Winkler © Philipp Hutter

Vom Stammtisch bis ins Parlament, überall wird im Moment über die herausfordende Situation der Hotellerie und Gastronomie diskutiert. Wie kann man mit der angespannten Personalsituation, der extremen Teuerung und dem wirtschaftlichen Druck umgehen? Wie ist die aktuelle Situation wirklich und zeichnet sich eine Entspannung ab? 

Gault&Millau-Herausgeberin Martina Hohenlohe und Online-Chefredakteur Bernhard Degen sprachen mit der Frau, die den besten Überblick und den größten Hebel für Veränderungen hat: Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler. Die Politikerin mit jahrzehntelanger Branchenerfahrung analysiert die aktuellen Zahlen zur Personalsituation, zeigt Lösungsansätze auf und erinnert sich an ihre ersten Erfahrungen im elterlichen Gasthaus in Groß-Enzersdorf bei Wien. Im anschließenden Word-Rap gibt Susanne Kraus-Winkler schließlich Einblicke in ihre persönlichen kulinarischen Vorlieben.

Interview

Gault&Millau: In den Sozialen Medien geht aktuell ein handgeschriebenes Gasthausschild mit folgendem Text viral: “Bitte seien Sie freundlich zu unseren Mitarbeitern! Gutes Personal zu bekommen ist schwieriger als Gäste.”
Wie akut ist die Personalknappheit in Gastronomie und Tourismus aktuell wirklich und welche Entwicklung zeichnet sich ab?

Susanne Kraus-Winkler: Die aktuelle Lage ist sehr unterschiedlich und hängt sehr stark von der Region und dem Produkt ab. In der Hotellerie haben wir eine akzeptable Situation, entspannt würde ich noch nicht sagen. Aber in der Gastronomie stehen wir größtenteils vor noch größeren Herausforderungen. In Wien ist es halbwegs o.k., da gibt es da und dort nur bestimmte Positionen, die nicht besetzt werden können. Am Land ist es teilweise schwieriger, vor allem in den touristischen Hotspots. Ich habe jetzt die Mai-Zahlen (Anm.: Auswertungen des AMS) bekommen, daraus kann man ablesen, dass der Druck in der Gastronomie deutlich höher ist. Im Jahresvergleich sieht man, dass der Mitarbeiterstand in der Hotellerie deutlich höher ist als 2019, also vor Corona. In der Gastronomie haben wir nur den gleichen Stand. Wobei wir hier nur von Köpfen reden, wir wissen aktuell noch nicht, wie viele Personen Teilzeit arbeiten. Auch die beim AMS gemeldeten offenen Stellen sind in der Gastronomie deutlich mehr als in der Hotellerie.

Susanne Kraus-Winkler
Susanne Kraus-Winkler © Philipp Hutter

Was sind die Gründe für den Arbeitskräfteschwund und was kann man dagegen tun?

Einerseits sind es bekannte Gründe. Es handelt sich um eine Einstiegsbranche, in der Gastronomie noch viel mehr als in der Hotellerie, hier wird auch viel mehr gewechselt. Außerdem haben wir einen demographischen Wandel mit generell weniger Arbeitskräften. Es ist eine Branche, die nicht in jeden Lebensabschnitt passt. Die Arbeitszeit ist zwar grundsätzlich flexibel, aber es gibt immer Stresszeiten und es ist kein “Nine to five”-Job. Von der Bezahlung her ist es sehr unterschiedlich, es gibt Jobs, die sind sehr gut bezahlt, aber gerade beim Einstieg sind wir gemeinsam mit dem Handel weiter unten eingestuft. Dazu kommt, dass die Gastronomie einfach nicht für jeden geeignet ist, man muss mit dem Stress zurechtkommen und für das Arbeiten am und mit dem Gast geeignet sein.

Es gibt ein stärkeres Bedürfnis nach besserer Work-Life-Balance, aber da haben viele Betriebe schon umgelernt, die Angebote attraktiviert und auch die Öffnungszeiten angepasst, wenn es das Produkt verträgt. Wir haben in Skandinavien schon vor langer Zeit gesehen, dass sich die Situation verändert, aber ich sehe sogar schon Cafés in Paris, die Ruhetage haben und die Sitzplatzkapazität eingeschränkt haben.


Gibt es von Seiten der Politik Konzepte, um die Situation der Gastronomie zu verbessern?

Im Bereich des Arbeitsmarkts gibt es zwei Ansätze: Einerseits versuchen wir, das Angebot für Saisonniers zu verbessern. Auf der anderen Seite haben wir das Angebot der Rot-Weiß-Rot-Karte. Der Unterschied ist, dass als Saisonniers Hilfs- und Fachkräfte für die Saisonzeiten gesucht werden, die Rot-Weiß-Rot-Karte nur für ganzjährig beschäftigte Fachkräfte gedacht ist. Der zweite wesentliche Unterschied ist, dass das Angebot für Saisonniers limitiert ist, bei der Rot-Weiß-Rot-Karte geht es um langfristige Beschäftigung. Bei letzterer haben wir es geschafft, dass Köch*innen/Kellner*innen österreichweit auf der Mängelberufsliste sind, da haben wir etliche Fortschritte gemacht. Es sind aber bei der Digitalisierung und vor allem bei der Ausbildungsanerkennung durchaus noch Möglichkeiten zur Verbesserung vorhanden. Eine Verbesserung, die wir schon umsetzen konnten, ist, dass die Rot-Weiß-Rot-Karte jetzt im Land beantragt werden kann. Was die Teuerung betrifft, unterstützen wir Betriebe mit dem Energiekostenzuschuss, um hier zu entlasten.

Martina Hohenlohe und Susanne Kraus-Winkler
Martina Hohenlohe und Susanne Kraus-Winkler © Philipp Hutter

Wie kann man mehr junge Leute in Gastronomie bringen?

Aus meiner Sicht gibt es da drei Ebenen: Erstens muss man die Ausbildung attraktivieren, mit Digitalisierung und mehr Nachhaltigkeit. In den Tourismusschulen werden die Lehrpläne ja jetzt angepasst. Da ich oft mit Bildungsminister Martin Polaschek spreche und mich mit ihm austausche, konnten wir den laufenden Prozess beschleunigen. Auch im Bereich der Berufsschulen müssen die Lehrpläne angepasst werden, hier muss man sich besonders auch die Vermittlungsqualität anschauen.

Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir mehr Quereinsteiger-Angebote brauchen. Brauchen wir eine Teillehre oder bessere Optionen eines angesehenen Meister-Abschlusses? Die Möglichkeit ist schon da, aber es wird nicht wirklich gelebt. Soll es außerdem ermöglicht werden, ohne Matura mit genügend Berufserfahrung in ein Bachelor-Studium einzusteigen?

Wir haben eine Social Media Kampagne mit dem Slogan “Team Tourismus=Starke Branche=Deine Chance” gestartet. Da informieren wir über die vielen Karrieremöglichkeiten, die es in der Gastronomie und Hotellerie gibt.

Die zweite Ebene ist sicher eine politische Ebene, da geht es um die Rahmenbedingungen. Da geht es um Dinge wie Arbeitszeit und Flexibilisierung, wie wir sie schon besprochen haben.

Die dritte Ebene ist die Betriebsebene, die Betriebe selbst haben wahrscheinlich den größten Einfluss darauf, wie zufrieden die Mitarbeiter sind. Employer Branding, Verständnis für flexible Arbeitszeiten, Weiterbildungsmöglichkeiten, Führungskultur… Da gibt es aus meiner Sicht viele Möglichkeiten, wie man einen Job in der Gastronomie attraktiver gestalten kann.

"Auf betrieblicher Ebene gibt es aus meiner Sicht viele Möglichkeiten, wie man einen Job in der Gastronomie attraktiver gestalten kann."

Martina Hohenlohe, Susanne Kraus-Winkler, Bernhard Degen
Martina Hohenlohe, Susanne Kraus-Winkler, Bernhard Degen © Philipp Hutter

Viele Gastronom*innen klagen über ein Nachwuchsproblem. Wie begeistern Sie, mit Ihrer Erfahrung, junge Menschen für die Gastronomie?

Es ist eine sehr schöne Branche, ich habe das von klein auf erlebt. Als ich jung war, war das für mich, als ob ich mit einem Kaufmannsladen gespielt hätte, man bekommt immer gleich Feedback. Man arbeitet in Teams, und wenn Teams toll sind, dann ist das einfach etwas Schönes! Du gestaltest auch Deine Persönlichkeit, wenn Du Dich in der Gastronomie entwickelst. Es gibt nichts, das so kreativ ist, wie Kochen! Oder mit tollen Getränken zu arbeiten, sowohl in der Bar als auch mit interessanten Weinen. Das Angebot ist riesig, es gibt so viele Möglichkeiten, um zu switchen.

"Man arbeitet mit dem Gast und hat jeden Tag unmittelbare Erfolgserlebnisse, aber Du musst es auch aushalten, wenn die Gäste schwierig sind."

Wenn ich mir die Lehrlingswettbewerbe ansehe, ich durfte da schon viele Preise überreichen, da entstehen Euphorien bei den Teilnehmern, das ist unglaublich! Deswegen ist es wichtig, den jungen Menschen dieses Wettbewerbsgefühl immer wieder aufs Neue zu vermitteln. Sich jeden Tag aufs Neue beweisen zu können, ist doch etwas Schönes.

Ich erinnere mich an unseren Familienbetrieb, dem Gasthof zur Sonne in Groß-Enzersdorf, das war eines von diesen großen Wirtshäusern, wo am Sonntag zwischen 11 und 14.30 Uhr 400 Leute durchmarschiert sind. Ich bin da sehr oft als Zwölfjährige am Pass gestanden. Links die Kaffeemaschine, hinter mir der kalte Platz mit Salat und Co, vor mir die Bons, rechts der Entremetier… Da lernt man, sich perfekt zu organisieren.

Außerdem entstehen in der Gastronomie ganz viele Freundschaften, ich habe noch so viel Kontakt mit meinen ehemaligen Mitarbeiter*innen und sie haben untereinander so viel Kontakt, das ist wie bei Alumnis. Deswegen glaube ich, dass das Image in der Gastronomie immer noch gut ist. Essen und Trinken ist ein Grundbedürfnis und gutes Essen und Trinken gehört zu den Highlights im Leben.

Susanne Kraus-Winkler
Susanne Kraus-Winkler © Philipp Hutter

Während es in den Städten sogar leichte Zuwächse an Gastronomiebetrieben gibt, sperren am Land immer mehr Gasthäuser zu. Wie können wir das Wirtshaussterben stoppen?

Seitdem ich jung bin, gibt es ein Wirtshaussterben. Ich kann mich an hunderte Diskussionen erinnern. Welche Wirtshäuser sind ausgestorben? Jene, die vom Angebot nicht mehr mithalten konnten und wenn die nächste Generation die “Stehachterl-Trinker” nicht mehr versorgen wollte. Damals wie heute war ein gesellschaftlicher Wandel da. Gleichzeitig hat sich eine wahnsinnig tolle Wirtshauskultur entwickelt, Niederösterreich ist ein besonders gutes Beispiel dafür. Auf der einen Seite hat ein bestimmtes Produkt den Markt verlassen, auf der anderen Seite ist ein bestimmtes Produkt besser geworden. Wie jede Branche unterliegt auch der Tourismus einem konstanten Wandel. 


Ist das dann eine natürliche Auslese, oder haben wir ein größeres Problem?

Zum Teil. Ein Problem haben wir dort, wo sich der Wirt durch Teuerung oder notwendige Veränderungen nicht mehr raussieht. Gerade in preissensiblen Regionen tut er sich schwer, die Preise zu erhöhen, dann geht es sich nicht mehr aus.

Das Wort Resilienz habe ich immer gehasst, aber jetzt finde ich, dass es das gut zusammenfasst, worum es geht: Man muss auf Veränderung gefasst sein, Du musst schauen, dass Du dich anpasst, wenn es notwendig ist. Die, die glauben, dass alles wieder so wird, wie es vor den aktuellen Krisen war, werden sich schwertun. Du musst Veränderung zulassen und dich nicht von ihr nicht kaputt machen lassen.


Ist es heute herausfordernder als vor 20 Jahren?

Natürlich! Vor 20 Jahren ist alles nur gewachsen, es ging nur um Wachstum und sonst nichts. Jetzt lernen wir gerade, dass es nicht mehr nur um Wachstum geht. Wir wissen aber noch nicht, was es neben Wachstum gibt. Wir müssen laufend optimieren und wirtschaftlich gesehen geht es um den Gewinn. Aber in puncto Nachhaltigkeit geht es um ganz andere Ziele.


Wie wichtig ist Spitzengastronomie für den nationalen und für den internationalen Gast?

Spitzengastronomie ist für jedes Land wichtig! Für das Image der Branche, weil man dadurch die Darstellung der Kochkunst, der Tischkultur, der Servicekultur und der Getränkekultur einfach perfekt transportieren kann. Solche Dinge lassen sich in der Kommunikation immer am besten an Extremen darstellen. Ich glaube, dass Spitzengastronomie eine wirklich wichtige Rolle spielt. Ein Land kann davon alleine nicht leben und es muss auch nicht jeder in die Spitzengastronomie wollen, aber für einen gastronomischen Standort – und Österreich ist als extrem touristisches Land ein gastronomischer Standort – ist sie ein Aushängeschild. Zusammen mit der behutsamen Veredelung selbst produzierter Lebensmittel. Wir brauchen Säulen, mit denen wir unsere Vorzüge international transportieren können. Wenn wir jetzt nach Lima sehen – ich glaube, so intensiv hat noch niemand über Lima gesprochen, wie jetzt, wo das Restaurant Central von der 50-Best-Liste zum Besten der Welt gekürt wurde. Man hat das auch sehr stark in Dänemark gesehen, wo sich neben dem Noma viele Betriebe in allen Stufen sensationell entwickelt haben. Wenn wir jetzt über Ganzjahrestourismus diskutieren – und alle reden gerade darüber: Damit können die Saisonen entzerrt werden, die Tourismusakzeptanz kann gesteigert werden und wir können einen nachhaltigeren Tourismus entwickeln. Da wird es ohne Gastronomie nicht gehen, denn sie ist Jahreszeiten unabhängig.


Wie wichtig sind dabei Listen wie die 50-Best-Restaurants oder Gastronomieführer wie Gault&Millau?

Sie sind sehr wichtig, weil sie einfach die plakativen Signale nach außen sind.

Wiener Schnitzel – die Lieblingsspeise von Susanne Kraus-Winkler
Wiener Schnitzel – die Lieblingsspeise von Susanne Kraus-Winkler © Shutterstock

Word Rap

Gehen Sie lieber in ein Restaurant oder in ein Wirtshaus?

In beides gleich gerne.

Zum Aperitif: Bier oder Champagner?

Champagner.

Malediven oder Mühlviertel?

Malediven nicht… Mühlviertel auch nicht. Ich bin gerne in der Toskana, aber ich finde, der alpine Raum ist besonders faszinierend. Die Berge, die Seen, die Natur, das ist unglaublich schön.

Blaufränkisch oder Bordeaux?

Blaufränkisch! Oder ein Chianti.

Weinbegleitung oder Flasche aus der Weinkarte?

Flasche aus der Weinkarte.

Welche Lieblingsspeise haben Sie?

Schnitzel. Tatsächlich Schnitzel! Und Schweinsbraten.

Kaffee zum oder nach dem Dessert?

Zum Dessert und auch danach.

Wieviel Trinkgeld geben Sie?

Acht bis zehn Prozent.

Was muss passieren, dass Sie kein Trinkgeld geben?

Wenn mich jemand ignoriert und dann auch noch unfreundlich ist.

Von Martina Hohenlohe und Bernhard Degen

Susanne Kraus-Winkler
Susanne Kraus-Winkler © Philipp Hutter

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