27.01.2025

Warum Eyal Shani allergisch auf Intoleranzen reagiert

Interview mit “Mr. Soul Food”, der über 40 Restaurants von Tel Aviv über Wien und Paris bis New York betreibt.

Eyal Shani
Eyal Shani © Philipp Lipiarski

Eigentlich wollte der gebürtige Israeli zum Film und begann eine Schauspiel-Karriere. Daraus wurde nichts, aber seine Liebe zur darstellenden Kunst kann man in allen seinen Restaurants rund um den Globus nachvollziehen, die offenen Küchen sind Bühnen, Köch*innen und Kellner*innen sind Schauspieler*innen und Gäste sind das Publikum. Eyal Shani wurde 1959 in Jerusalem geboren, wo er mit seiner Mutter und seiner Großmutter am belebten Shuk einkaufte und wo seine Leidenschaft für frische und hochwertige Lebensmittel geweckt wurde. Durch seine marokkanische und irakisch-jüdische Abstammung kam Shani auch mit einer Vielzahl von Geschmacksrichtungen und kulinarischen Traditionen in Berührung, die später seinen Kochstil beeinflussen sollten. 

Eyal's Restaurants verbinden traditionelle mediterrane Gerichte mit saisonalen Zutaten mit einer lebendigen Atmosphäre, die von der Energie Tel Avivs inspiriert ist. Aus den Küchen kommt wohltuendes Soulfood, gemüselastig und selbstverständlich gesund. In Wien hat er 2016 das Miznon eröffnet und kurz darauf das Seven North. Ersteres wurde vor kurzem zwar geschlossen, aber Shani und sein Team suchen bereits nach einem neuen Lokal für das Miznon-Konzept. Das Seven North ist bestens frequentiert, mit hervorragender Küche beseelt und mit der lebendigen Atmosphäre ein Paradebeispiel für Shanis Philosophie. Eine Philosophie, die ganz offensichtlich gut ankommt. Mittlerweile betreibt Shani über 40 Restaurants weltweit, acht davon alleine in New York. Im Gespräch erzählt der charismatische Globetrotter, wie es dazu kam und warum ihm Gault&Millau lieber ist als Michelin.

Bernhard Degen: Ich habe nachgesehen, unser letztes Gespräch war im Jahr 2016, kurz nachdem Du das Wiener Miznon eröffnet hast. Damals hast Du davon erzählt, dass Du nach New York gehen möchtest. Wörtlich: “In New York kann man nicht ein einzelnes Lokal aufmachen, da müssen es gleich mehrere sein”. OK, Hut ab! Acht sind es mittlerweile schon. Wie war der Weg dahin?

Eyal Shani: Die Gastronomie ist einem starken Wandel unterworfen, die Rahmenbedingungen ändern sich stetig. Es gibt immer mehr Menschen und die Nachfrage nach Restaurants wächst grundsätzlich. Dazu kommt, dass sich die Qualität der Zutaten verändert, da tut sich eine Schere auf – sie werden sowohl besser als auch schlechter. Die größten Herausforderungen sind die extremen Regulatorien. In Israel beispielsweise muss ich eine eigene Küche bauen, wenn ich auch Fisch anbieten will. Ich muss immer mehr in Küchentechnik investieren, das steht aber der Leidenschaft im Weg, mit der ich kochen möchte.

In New York haben wir mit allen Konventionen gebrochen. Im Shmoné servieren wir beispielsweise ein T-Bone Steak mit der Hand, wir legen es ohne Teller auf den Tisch, wo es aufgeschnitten wird. Das Blut sickert in die Papierunterlage und ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass es sich einmal um ein Lebewesen gehandelt hat. Wir decken das dann nur mit einer Serviette ab und platzieren das Dessert darauf.

Das muss für Amerikaner ein Schock sein.

Ja! Das ist es. Aber wir machen das nicht, um zu schockieren, sondern um die Echtheit der Lebensmittel zu würdigen. Wir bieten damit eine umfassende Erfahrung. In New York habe ich in meinen Restaurants exakt 160 Zutaten gezählt. Sie kommen von 150 verschiedenen Lieferant*innen, wir haben lange gesucht, um von überall das Beste zu bekommen. Das ist wie eine große Familie.

New York ist eine extreme Stadt. “And if you can make it there You're gonna make it anywhere”. Was Sinatra gesungen hat, stimmt nicht! Man kann von New York nicht für etwas anderes lernen, weil New York so speziell ist. Der Konkurrenzdruck ist fürchterlich.

Seven North Vienna
Seven North Vienna © Sircle Collection

Seit 2016 ist viel passiert. Covid. Kriege. Trump.
Du hast mir in unserem Gespräch vermittelt, dass Gefühle in Deiner Küche das Wichtigste sind. Fällt es Dir heutzutage leicht, Freude am Leben und Lust am Genießen zu vermitteln?

Was im Nahen Osten passiert, ist ein Desaster. Ein unvorstellbares Desaster. Ich wünschte, das wäre alles nie passiert. Wir sehen keinen Horizont, es ist so, als ob der Horizont abgeschaltet wurde. Um psychisch zu überleben, muss man die Gegenwart verlassen. Ich ziehe mich in eine Blase zurück, in der ich an einer perfekten Produktion arbeite. Das ist wie Medidation, in der sich das Gute herauskristallisiert. Die Kristalle wachsen und fügen sich aneinander und am Ende ist man nur von Gutem umgeben.

New York gibt für die westliche Welt die Trends vor. Welche aktuellen Bedürfnisse der New Yorker nehmen Sie wahr?

In New York lebt man mit Titeln, mit Symbolen. In meinen Restaurants gibt es offene Küchen, Köche sind wie Sänger auf großen Bühnen, die sich die Energie aus dem Publikum holen und in gutes Essen umwandeln. Dafür braucht man aber auch leidenschaftliche Gäste, die habe ich in New York nicht. Wir müssen die Energie daher wo anders holen. Wir haben entdeckt, dass wir die Energie aus uns selbst holen müssen. Wir holen die Energie aus dem Team!

In NY wird immer weniger selbst gekocht, viele Wohnungen haben gar keine Küchen mehr. Umso wichtiger ist Lieferservice, ist das ein Segment, das Du gerne bedienst?

Am Ende der COVID-Zeit habe ich gesagt, dass die Epidemie nicht COVID ist, sondern dass sie blau ist. Damit meine ich die Essenslieferanten, die in New York ganz in blau gestylt sind. Lieferservice ist das allerschlimmste! Beim Kochen ist der persönliche Kontakt wichtig, beim Lieferservice koche ich nicht für Menschen, sondern für Schachteln. Das zerstört alles, ich halte das nicht aus! Ein Gericht verliert nach der Fertigstellung mit jeder Sekunde, die vergeht, bis es zum Gast kommt. Ich koche seit 38 Jahren und ich kann mich noch immer nicht entspannen, bis das Essen auf den Tisch gelangt. Es stirbt mit jeder Sekunde, die vergeht.

Österreichische Gastronom*innen haben Probleme mit der Vielzahl von Unverträglichkeiten und Allergien US-amerikanischer Gäste, wie stellt sich das im New Yorker Alltag dar?

Die erste Frage ist immer: Welche Allergie haben Sie? Das wird in den USA wie ein Produkt behandelt, das man sich kaufen kann. Aber schon alleine diese Frage generiert Allergien und Intoleranzen. Jeder will etwas Besonderes sein, und viele brauchen dazu eine derartige Symbolik. In New York ist Hafermilch schon die normale Milch, wenn man Kuhmilch möchte, muss man das extra dazusagen.

Seven North Vienna
Seven North Vienna © Sircle Collection

Hierzulande erleben entalkoholisierte Weine und Schaumweine einen Boom, gibt es diesen Trend in allen Ländern, in denen Du aktiv bist?

Ich war einmal im Noma. Ich habe die normale Weinbegleitung bestellt, die war großartig. Mein Freund, mit dem ich dort war, hat die alkoholfreie Begleitung bestellt und ich habe alles gekostet, das war sensationell, ich war sofort neidisch auf ihn. Aber da reden wir von höchster Perfektion, von einem Team, das sich komplett darauf spezialisiert hat, Fermentation gehört zur DNA das Noma. Aber allen Nicht-Experten rate ich: “Lasst die Finger davon”. Es ist zu schwierig, zu komplex.

Weine sind transzendente Flüssigkeiten aus dem Universum, für derartig beseelte Lebensmittel braucht man die Natur, nicht den Mensch und keine Technik. So wenig Manipulation wie möglich.

Das Restaurant Shmoné in New York wurde vor kurzem mit einem Michelin Stern ausgezeichnet. Wie wichtig sind Dir Bewertungen?

Ich schätze Bewertungen, weil sie sind wie eine Anleitung für Gäste, eine Hilfestellung. Ich mag allerdings nur Restaurants mit einem Stern, die können noch ihre Eigenständigkeit und Unabhängig bewahren. Zwei- und Drei-Sterner haben zu viel zu verlieren, die kochen dann nur noch nach den Regeln von Michelin.

Gault&Millau ist da anders, das Punktesystem ist viel präziser und informativer. Wenn ich mich über Restaurants informiere, lese ich lieber die Beschreibungen von Gault&Millau, die von Michelin sind mir zu kurz.

Ich habe gelesen, dass weitere Expansionen geplant sind, wie geht es weiter?

Ich arbeite fast 40 Jahre in unserer Branche. Zwei Drittel dieser Zeit habe ich zu sehr auf mich geschaut. Dann habe ich entdeckt, dass so viel aus dem Team kommt. Ich nehme mich zurück und lasse den Teamspirit entfalten. Der Küchenchef muss ein Schöpfer sein, er muss das Leben in seiner Küche aufbauen. Es macht mich stolz, wenn ich Menschen weiterentwickeln kann, wenn sie mit ihrer Aufgabe wachsen. Ich möchte Menschen mit unserer Küche berühren, das ist kein System, sondern ein gemeinsamer Glaube. Ich arbeite mit Individuen, jede Tomate ist einzigartig, jeder Mensch sowieso. Ich muss für alle so lange den richtigen Platz suchen, bis er sich ganz entfalten kann. Alles gestaltet mit, Menschen ebenso wie Lebensmittel.

Marken von Eyal Shani:

www.shmonenyc.com
www.hasalonnyc.com
miznonrestaurant.com
sevennorthrestaurant.com
www.malka-usa.com
www.portsaidnyc.com
Naked Tomato

von Bernhard Degen


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