27.04.2022

Bitte kein weißes Kalbfleisch!

Beim Konsum von Kalbfleisch machen wir so gut wie alles falsch. Der Koch-Campus zeigt Missstände auf und regt zum Umdenken an.

Mitglieder des Koch-Campus
Mitglieder des Koch-Campus © Leopold

“Immer wenn es was zu Feiern gab wurde Kalbfleisch gegessen.” Der Salzburger Spitzenkoch Andreas Döllerer hebt den besonderen Stellenwert von Kalbfleisch hervor. Und wenn das einer sagt, der aus einem Wirtshaus mit Metzgerei kommt, dann hat das durchaus Gewicht. Zudem sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass das Wiener Schnitzel die Lieblingsspeise der Österreicher ist – zwar meistens vom Schwein, aber das Originalrezept beruht nun einmal auf Kalbfleisch.

Absurde Handelsbilanz

Döllerer ist Gastgeber des ersten Koch-Campus nach den Corona-Beschränkungen und hat schon im Vorfeld auf eine evidente Problematik aufmerksam gemacht: Knapp jedes dritte Kalb, das in Österreich konsumiert wird, wurde in den Niederlanden gemästet und geschlachtet. Und das, obwohl Österreich selbst ausgezeichnetes Kalbfleisch produziert und in erheblichem Maße auch exportiert. Maria Fanninger von der Initiative “Land schafft Leben” unterlegt die absurde Handelsbilanz bei einem Workshop am Stiegl Gut Wildshut mit harten Zahlen: Österreich importiert Fleisch von rund 105.000 Kälbern und exportiert circa 45.000 eigene Kälber via Lebendtransport. Noch verwunderlicher wird die Situation, wenn man bedenkt, dass Österreich bei Rindfleisch insgesamt einen Selbstversorgungsgrad von 146 Prozent hat. Köche, Produzenten und Journalisten diskutierten beim Koch-Campus am 25. April, was beim Thema Kalbfleisch alles falsch läuft. Das ist leider nicht wenig.
 

Optische Prüfung der verschiedenen Kalbfleisch-Proben
Optische Prüfung der verschiedenen Kalbfleisch-Proben © Jörg Lehmann

Weißes Fleisch ist falsches Schönheitsideal

“Kalbfleisch soll so hell wie möglich sein.” So wurde uns das von klein auf suggeriert. Doch warum zum Teufel eigentlich? Weißes Fleisch ist unnatürlich und hat keinerlei geschmacklichen Vorteile. Dies berichten Spitzenköche aus ihren Erfahrungen und eine aufwendig organisiert Kalbfleisch-Verkostung kommt zum selben Ergebnis. Dennoch ist die überlieferte Schulmeinung, dass weiße Farbe das wichtigste Qualitätsmerkmal sein soll, noch immer wo weit verbreitet, dass Produzenten alles tun, um das Fleisch so hell wie möglich zu halten. Dieses falsche Schönheitsideal wird unter anderem dadurch erreicht, dass die Kälber bewusst einer Mangelernährung ausgesetzt werden.

Rosé – mehr als ein Modetrend

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger wendete sich in einer Grußbotschaft an die Teilnehmer des Koch-Campus. Sie wies darauf hin, dass sich die Zahl der in Österreich geschlachteten Kälber seit dem Jahr 2000 halbiert hat. Sie arbeitet mit Ihrem Team daran, die Tier-Transporte zu reduzieren. Eine wichtige Initiative ist hierbei das neue AMA-Gütesiegel für Kalb rosé Austria. Dieses wird später (im Alter von sechs bis acht Monaten, statt von vier bis sechs Monaten) geschlachtet und ist damit zwischen Milchkalb und Jungrind angesiedelt. Das Fleisch ist zart-rosa, geschmacksintensiver und die AMA-Richtlinien gewährleisten gewisse Tierwohl–Standards sowie österreichische Herkunft.

Das Goldene Kalb

Biobauer Hannes Hönegger züchtet, mästet und schlachtet seine Rinder selbst. Dass ihm das Thema Kalbfleisch ein besonderes Anliegen ist, dokumentiert auch das von ihm verfasste Buch “Das Goldene Kalb”. Die oben beschriebenen Missstände sind dem Lungauer nicht nur ein Dorn im Auge sondern auch Motivation für aktive Aufklärung. Zusammen mit dem Koch-Campus Mitgliedern erarbeitete er eine aufwendige Blindverkostung von Kalbfleisch, die eine unabhängige Beurteilung verschiedener Rassen und Herkünfte ermöglichen sollte. Diese fand am 25. April im Gut Wildshut statt und umfasste eine optische Prüfung von ganzen Schlögeln sowie eine Verkostung von rohem und kurz angebratenem Kalbfleisch. Das Ergebnis fiel vielsagend aus: österreichische Bio-Kälber mit kurzen Transportwegen wurden signifikant besser bewertet als importierte Tiere aus den Niederlanden bzw. Deutschland.

Die Verkostungs-Ergebnisse mit Platzierungen

  1. Bio Tiroler Grauvieh, Vollmilch-Kalb, geboren 07.12.2021 (Alter 4 1⁄2 Monate) - Landwirt: Michael Kerschbaumer, Radenthein, Kärnten 
  2. Bio Original Pinzgauer, Vollmilch-Kalb, geboren am 20.12.2021 (Alter 4 Monate) - Landwirt: Stiegl Gut Wildshut, Wildshut, Oberösterreich
  3. Kalb Rosé Holstein Friesian, konventionell gefüttertes Kalb, geboren 16.09.2021 (Alter 7 Monate) - Bäuerliche Vermarktung Kärntner Fleisch reg.GenmbH, Programm "Kalb Rosé" - Kärnten
  4. Bio Fleckvieh, Vollmilch-Kalb, geboren am 31.12.2021 (Alter 3 1⁄2 Monate) - Landwirt: Christian Wirnsperger vulgo Dasler, Mauterndorf Salzburg
  5. Bio Wagyu, Vollmilch-Kalb, 4 Monate Mutterkuhhaltung geboren am 18.10.2021 (Alter 6 Monate) - Landwirt: Hannes Hönegger vulgo Tromört, Lessach, Salzburg
  6. Bio Weissblauer Belgier, Vollmilch-Kalb, geboren am 05.01.2022 (Alter 3 1⁄2 Monate) - Landwirt Hermann Mauser vulgo Metzger, Mauterndorf, Salzburg
  7. Original Pinzgauer, konventionell gefüttertes Kalb mit Milchaustauscher und Heu,  geboren am 14.10.2021 (Alter 6 Monate) - Landwirt: Stefan Dürr, Leogang- Pinzgau 
  8. Deutsches Mastkalb, Alter 7 Monate, Geboren in Deutschland, gemästet in den Niederlanden, geschlachtet in Deutschland 
  9. Holländisches Mastkalb, Alter 7 1⁄2 Monate, geboren, gemästet und geschlachtet in den Niederlanden 


Zur Prüfung vorbereitete Kalbsteile
Zur Prüfung vorbereitete Kalbsteile © Jörg Lehmann

Lebendtransporte

Das Kalb aus Deutschland steht für eine weitere Problematik, die man gesondert thematisieren muss: Es wurde in Deutschland geboren, in den Niederlanden gemästet und in Deutschland geschlachtet. Es war also mehrfach qualvollen Lebendtransporten ausgesetzt. Erst dann wurde es zur weiteren Verarbeitung nach Österreich transportiert.

“Das macht so keinen Sinn”, sagt Leo Bauernberger, Geschäftsführer von Salzburg Tourismus. Er erzählt, dass er in seinem ersten Ausbildungsweg eine Koch-Ausbildung absolviert hat und dabei ebenfalls die traditionelle Beurteilung von Kalbfleisch gelernt hat: “Je heller desto besser” halt früher. In seiner Aufgabe als Tourismuschef streicht er einerseits die vorbildliche Tierhaltung bei den Salzburger Landwirten hervor und kämpft gleichzeitig gegen fragwürdige Exporte sowie Billig-Importe.

Haubenmenü krönt Koch-Campus

Die Köche des Koch-Campus stellten in der Küche von Andreas Döllerer schließlich ein einzigartiges Menü zusammen, bei dem Kalb die Hauptrolle spielte. Bemerkenswert dabei ist, dass keiner der Köche mit Edelteilen arbeiten wollte und so die Nose-to-Tail Philosophie vorbildlich vorgelebt wurde. 

Vitus Winkler vom Genießerhotel Sonnhof legte zum Auftakt mit geräucherter Kalbszunge und Leber-Eis die Latte hoch. Andreas Senn vom gleichnamigen Salzburger Restaurant schloss mit Kalbsmark-Knöderl und Kaviar von Walter Grüll an. Hausherr Andreas Döllerer besann sich der Alt-Wiener Tradition und servierte genial-puristisches Kalbsbries mit Ei und Salat. Josef Steffner vom Mesnerhaus bereitete ein herrliches Gericht aus Kalbsbrust und -hirn zu, gefolgt von Hubert Wallner vom nach ihm benannten Restaurant am Wörthersee. Der Kärntner brillierte mit gefülltem Schlepp. Für die sensationelle Weinbegleitung zeichnete mit Alexander Koblinger einer der besten Sommeliers des Landes verantwortlich, Partner-Winzer wie Armin Tement, Kurt Feiler oder Michael Goëss-Enzenberg vom Südtiroler Weingut Manincor stellten ihre Weine persönlich vor. Für stimmige Akzente sorgte Koblinger in Zusammenarbeit mit dem Team des Stiegl Guts Wildhut und servierte fein abgestimmte Bio-Biere.


Brust, Flechte, Binkel, Ächtling und Hirn – Kreation von Josef Steffner
Brust, Flechte, Binkel, Ächtling und Hirn – Kreation von Josef Steffner © Jörg Lehmann

Über den Koch.Campus

Rund 40 Köche und 25 landwirtschaftliche Pionier-Produzenten aus ganz Österreich haben sich zusammengeschlossen, um die exzellente österreichische Lebensmittelqualität zu erhalten und zu fördern. Sie unterstützen die Vielfalt heimischer Nutztiere und Nutzpflanzen ebenso wie die Kleinstrukturiertheit der heimischen Landwirtschaft. Gemeinsam arbeiten sie daran, die österreichische Küche weiterzuentwickeln, Klischees abzubauen und somit Österreich im internationalen Kontext kulinarisch hochwertig zu positionieren. Zur Erreichung dieser Ziele arbeiten die Koch-Campus Mitglieder als starkes Team an verschiedenen Themen, die sie in Workshops intensiv aufbereiten. Beim Thema Kalbfleisch ist es ihnen exzellent gelungen, die komplexe Thematik verständlich aufzubereiten und Verbündete zu finden. 

Es sind zwei einfache Botschaften, die nun in die Welt hinaus getragen werden: Vergessen Sie das Dogma, dass Kalbfleisch so hell wie möglich sein soll, vermeiden Sie Billigimporte.

von Bernhard Degen


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